Das Näherbaurecht in der Schweiz

Näherbaurecht

Das Näherbaurecht ermöglicht Eigentümern in der Schweiz, ihr Grundstück optimal auszunutzen. Mithilfe dieser Vereinbarung unter Nachbarn dürfen sie gesetzlich vorgeschriebene Grenz- und Gebäudeabstände unterschreiten. Das Näherbaurecht wird meist als öffentlich beurkundete Dienstbarkeit festgehalten und im Grundbuch eingetragen. Aber nicht jede Einwirkung auf das Nachbargrundstück ist zulässig und darf umgesetzt werden. Vereinbarungen sind nur unter dem Vorbehalt der gesetzlichen, wohnhygienischen und feuerpolizeilichen Vorschriften zulässig.

Was bedeutet Näherbaurecht?

Regelungen zu Grenzabständen finden sich in diversen Gesetzen und Erlassen von Kantonen und Gemeinden. Wer beengte Platzverhältnisse optimal ausnutzen möchte, verletzt schnell die Grenzabstandsregelungen — oft, ohne es zu wissen. Darunter leidet nicht nur die Nachbarschaft, sondern auch das Konto. Denn die Folgen sind häufig kostenpflichtige Massnahmen wie Rückbau, Versetzung oder Abriss der Überbauung (Art. 928 ZGB).

Besser ist es, wenn Sie Ihre Pläne vor Beginn der Arbeiten mit den Nachbarn einvernehmlich regeln:

  • Unter dem sogenannten Näherbaurecht versteht man ein Grenzbaurecht, das auf nachbarrechtlichen Absprachen beruht. Aufgrund dieser Vereinbarungen können in Kantonen und Gemeinden vorgeschriebene Mindestabstände von Gebäuden zur Grundstücksgrenze ( 668 ZGB) bzw. zwischen Gebäuden unterschritten werden. Das kann sich vor allem bei kleinen oder ungünstig geschnittenen Grundstücken lohnen.
  • M ithilfe des Näherbraurechts können Sie Ihr Bauvorhaben hinsichtlich Grösse, Form und Lage individueller gestalten, als das im Rahmen des allgemeinen Grenzbaurechts möglich wäre. Allerdings erwarten die Baubehörden bei einseitigem Recht, dass die belasteten Nachbarn sich im Gegenzug auf einen entsprechend grösseren Grenzabstand einlassen. Prüfen Sie daher vorsorglich die Ausgestaltung als gegenseitiges Recht.
  • Das Zusammenbauen von Gebäuden ist nicht erlaubt. Gesetzliche Mindestabstände von Strassen, Wäldern und Gewässern sind weiterhin einzuhalten. Immissionen auf das Nachbargrundstück sind zulässig, soweit diese die Wohnqualität der Nachbarn nicht zu sehr beeinflussen (684 ZGB).

Wichtig: Öffentlich-rechtliche Abstände gelten für alle Grundstücke einer Gemeinde. Das privatrechtliche Näherbaurecht dagegen trifft nur auf die betroffenen benachbarten Grundstücke bzw. Gebäude zu.

Wozu dienen Grenzabstände und Gebäudeabstände?

Das Näherbaurecht schafft nicht nur neue Möglichkeiten der Planung und Bebauung, die Beteiligten sind auch weitgehend frei in der Ausgestaltung. Lediglich die Grenzen geltenden Rechts wie feuerpolizeiliche und hygienische Vorschriften, ungehinderte Zufahrtswege oder Mindestabstände zu Wald und Gewässern grenzen das Näherbaurecht ein.

Die Betroffenen sollten sich vor Zustimmung allerdings bewusst machen, wozu Mindestgrenzabstände dienen. Stellen sie doch sicher, dass zwischen der Bebauung für ausreichenden Lichteinfall, Belüftung und Aussicht gesorgt ist. Unterschreiten sie den gesetzlichen Mindestgrenz- oder Mindestgebäudeabstand, vermindern sich meist Wohnqualität und Immobilienwert für die belasteten Nachbarn.

Wie werden Mindestabstände ermittelt?

Unter Grenzabstand versteht man in der Schweiz die kürzeste Entfernung von der Grundstücksgrenze zur Fassade eines Hauses. Der Mindestgrenzabstand ist beidseitig zu ermitteln und kann auf beiden Seiten unterschiedlich ausfallen. So stellen die Behörden sicher, dass Licht, Lärmemissionen und Aussicht auf beiden Seiten der Grundstücksgrenze ausgewogen sind.

Öffentlich-rechtliche Grenzabstände variieren je nach Bauzone, Art des Gebäudes und Kanton. Reglementiert sind die Parteien durch Abstandsregeln der kommunalen Bauvorschriften sowie durch den Immissionsschutz des Bundes (Art. 679684 ff. ZGB), beispielsweise bei übermässigem Lichtentzug.

Wichtig: Wer seine Grundstücksgrenzen nicht kennt und keine Pläne mehr darüber hat, kann beim Grundbuchamt nachfragen. Wurde bereits eine amtliche Grundbuchvermessung durchgeführt, können dort die Vermessungspläne eingesehen werden. Diese gelten grundsätzlich als richtig, solange nicht deren Unrichtigkeit nachgewiesen ist (Art. 9 ZGB).

Neben den Grenzabständen müssen Sie Mindestgebäudeabstände beachten. Darunter ist die kürzeste Entfernung zwischen zwei Gebäuden bzw. die Summe der für diese Gebäude vorgeschriebenen Grenzabstände (=doppelter Grenzabstand) zu verstehen. Solche Mindestabstände sind auch zwischen Gebäuden auf demselben Grundstück einzuhalten.

Tipp: Hecken, Zäune und Bäume gehören übrigens beiden Nachbarn, wenn sie genau auf der Grundstücksgrenze wachsen bzw. angebracht wurden (Art. 670 ZGB). Nähere Informationen zu kantonalen Regelungen finden Sie hier: Vorschriften zum Grenzabstand für Pflanzen & Bäume.

Wer muss der nachbarrechtlichen Vereinbarung zustimmen?

Für ein rechtswirksames Näherbaurecht müssen die Eigentümer der benachbarten Grundstücke zustimmen.

Besteht eine Erbengemeinschaft oder weitere Gesamthandverhältnisse, sind in der Regel alle Mitglieder zustimmungspflichtig.

Bei Miteigentums- oder Stockwerkeigentümergemeinschaften sind die Zustimmungen aller in der Regel nur für das Erstellen eines Dienstbarkeitsvertrags notwendig. Ansonsten reicht eine Mehrheit nach Art. 647b ZGB nach Personen oder Anteilen für gewöhnlich aus.

Wichtig: Mieter oder Wohnberechtigte sind nicht stimmberechtigt.

Welche Entschädigungen sind für Nachbarn üblich?

Sind Ihre Nachbarn bereit, auf ihr Abstandsrecht zu verzichten, können Sie ein einseitiges oder gegenseitiges Näherbaurecht vereinbaren. Üblich sind dafür finanzielle Entschädigungen oder der Ausgleich in Sachzuwendungen, beispielsweise durch Land.

Wie hoch die Entschädigung ist und wie sie diese ausgestalten, obliegt ausschliesslich den beteiligten Parteien. Die Höhe hängt u. a. vom verbesserten Nutzen bzw. entgangenem Nutzwert ab.

Die Basis für Entschädigungen belasteter Nachbarn schaffen Zivilgesetzbuch (Art. 928 ZGB) und Obligationenrecht (Art. 4160 OR). Entsprechen die Baumassnahmen nicht der Vereinbarung, sind diese störender als erwartet oder haben die Nachbarn nicht zugestimmt, besteht ggf. Anspruch auf:

  • Beseitigung der Störung
  • Unterlassung fernerer Störung
  • Schadenersatz (Schadenersatzforderungen an Nachbarn verjähren innert 1 bis 10 Jahren ab Kenntnis über den Schaden bzw. seit der schädigenden Handlung)

Das gilt allerdings nur, wenn die Einwirkung auf das benachbarte Grundstück übermässig ist. Ob das der Fall ist, können Sie anhand der kommunalen Polizei- oder Bauordnung sowie der kantonalen Ergänzungsgesetze zum Zivilgesetzbuch herausfinden.

Nicht vergessen: Da es sich um ein zweiseitiges Rechtsgeschäft handelt, ist ein einseitiges Widerrufen des Näherbaurechts nicht möglich.

Gehört das Näherbaurecht ins Grundbuch?

Auch wenn es keine gesetzlich vorgeschriebene Form gibt, sollten Sie die Vereinbarung stets schriftlich festhalten. Später erinnern sich die Beteiligten womöglich nicht mehr an vereinbarte Details oder ändern diese eigenmächtig ab. Die kantonale Baubehörde gibt sich bei Vorlage des Bauantrags ohnehin nicht mit einer verbalen Schilderung zufrieden. Sie fordert bei Unterschreiten der gesetzlichen Mindestabstände einen Nachweis des Näherbaurechts an.

Ein privater Vertrag zwischen den Parteien ist allerdings nur für diese verbindlich. Es empfiehlt sich daher — am besten mit juristischer Hilfe — einen Dienstbarkeitsvertrag zu erstellen und diesen öffentlich beurkunden zu lassen. Die Dienstbarkeit wird verbindlich ins Grundbuch eingetragen und ist auch für künftige Rechtsnachfolger transparent (Art. 730 ZGB).

Diese Punkte sollten Sie in einem Dienstbarkeitsvertrag aufführen:

  • Handelt es sich um ein einseitiges oder gegenseitiges Näherbaurecht?
  • Welche Baumassnahmen sind geplant (Beschreibung und Pläne)?
  • Wie stellt sich konkret die Unterschreitung der Grenz- und Gebäudeabstände dar (inklusive Daten)?
  • Wie, wann und wie hoch ist die vereinbarte Entschädigungsleistung fällig?
  • Wer ist Näherbaurechtsberechtigter und Näherbaurechtsbelasteter?
  • Wer ist zustimmungspflichtig? Liegen deren Zustimmungen vor?

Welche Nachteile können durch das Näherbaurecht entstehen?

Der Weg zu einem praktikablen Näherbaurecht ist oft steiniger, als die Beteiligten denken. Es sind einige Punkte zu entscheiden: Die Vereinbarung kann sich auf den Mindestgrenzabstand und/oder den Mindestgebäudeabstand beziehen. Sie kann einseitig oder gegenseitig ausfallen.

Nachteilige einseitige Vereinbarung

Wer nicht genau hinsieht bei der Ausgestaltung eines Näherbaurechts, riskiert später benachteiligt zu sein. Die Baubehörden erwarten beim einseitigen Unterschreiten des Mindestgrenzabstands meistens, dass die Nachbarn einen umso grösseren Abstand einhalten. Dadurch wird der öffentlich-rechtliche Mindestabstand wieder erreicht. Die Ausnutzung des eigenen Grundstücks wird für belastete Nachbarn dadurch allerdings deutlich erschwert.

Auch Gebäudeabstände müssen für beide Parteien eindeutig definiert sein, um eine Partei nicht übermässig zu benachteiligen. Als gute Lösung kann sich das gegenseitige Näherbaurecht erweisen, durch das beide Nachbarn von der Regelung profitieren.

Vorsicht Wertminderung

Weniger Licht und Aussicht durch heranrückende Bauten bedeuten zudem eine deutliche Wertminderung. Wie gross diese ausfällt, sollten Betroffene kritisch ermitteln.

Tipp: Beauftragen Sie am besten einen Experten mit der fachgerechten Ermittlung der Wertminderung.

Sind Fristen zu beachten?

Gibt es öffentlich-rechtliche Vorschriften, sind diese für alle Grundstücke einer Gemeinde bindend. Freiräume können per Näherbaurecht geregelt werden. Halten sich Ihre Nachbarn nicht an bindende Regelungen, können Sie in einem Baubewilligungsverfahren Einsprache erheben. Dazu bleibt Ihnen allerdings nicht viel Zeit: ca. 20-30 Tage ab Ausstecken der Baute.

Bemerken Sie einen rechtswidrigen Bau erst nach dessen Fertigstellung, droht dem Bauherrn eine Busse. Abbruch und Rückbau werden bei der Verletzung öffentlich-rechtlicher Vorschriften nur selten vorgeschrieben.

Anspruch auf Beseitigung

Halten Näherbaurechtsberechtigte sich nicht an die Vereinbarung, können Sie als geschädigte Partei die Beseitigung der Baumassnahmen verlangen. Hat der Bauherr die Vereinbarungen unabsichtlich verletzt, kann er sich oft mit einer Entschädigung entziehen (Art. 685674 ZGB). Das gilt vor allem, wenn die Einwirkung auf das Nachbargrundstück nicht übermässig erscheint.

Tipp: Darunter fallen beispielsweise Risse in der Gebäudehülle oder ein Hangrutsch. Stellen Sie solche Schäden fest, sollten Sie umgehend einen Experten mit der Begutachtung beauftragen. Halten Sie die Vereinbarungen zur Schadensbeseitigung dazu schriftlich fest.

Fazit: Mit dem Näherbaurecht nutzen Sie Freiräume

Umständlich geschnittene Grundstücke oder schlicht zu wenig Platz, lassen manchen Traum vom Neu-, Aus- oder Umbau zerplatzen wie eine Seifenblase. Für individuelle Lösungen hat der Gesetzgeber in der Schweiz das Näherbaurecht geschaffen. So können Nachbarn sich untereinander auf geringere Abstände verständigen, als Kantone und Gemeinden das vorsehen. Übrigens sind bei ausreichend Raum auch grössere Abstände zur Grundstücksgrenze möglich.

Allerdings ist die privatrechtliche Kreativität trotz grosser Spielräume reglementiert. Das Zusammenbauen von Gebäuden ist beispielsweise untersagt. Öffentlich-rechtliche Mindestabstände zu Wäldern, Gewässern und Strassen bleiben verpflichtend.

Tipp: Lassen Sie sich zum Näherbaurecht juristisch beraten und halten Sie alle Details im Rahmen eines notariell beglaubigten Dienstbarkeitsvertrages fest. Als Näherbaurechtsbelasteter verzichten Sie schliesslich auf die Abwehr zu naher Baumassnahmen. Ein Zugeständnis, dass Sie alleine nicht mehr widerrufen können.