Arbeitsvertragsrecht in der Schweiz nach OR

Arbeitsvertragsrecht

Die Schweiz hat den Umgang mit Arbeitsverträgen im Rahmen des Obligationenrechts (OR) flexibel gestaltet. Ob Einzelarbeitsvertrag ohne Befristung, Lehrvertrag für Lernende, mit Familie in Heimarbeit oder als Handelsreisender bei Kunden — viele Details des Arbeitsverhältnisses dürfen individuell ausgehandelt werden. Einige zwingende Schutzbestimmungen hat der Gesetzgeber dennoch im Obligationenrecht (OR) fixiert. Diese richten sich meist nach der Vertragsart.

Welche Vertragsarten unterscheidet das OR?

VertragsartVertragspartnerMerkmale
Einzelarbeitsvertrag (EAV) (Art. 319-343 OR)AG + AN– Einzelarbeitsverträge befristet oder unbefristet
– Schriftform ist nicht zwingend
– Tätigkeitsbeschreibung, Eintrittsdatum, Dauer, Prämien, Zulagen und Lohn
– enthält Kündigungsfrist und Besonderheiten zum Vertragsende
Lehrvertrag (Art. 344-346a OR)AG + AN– dient der Ausbildung
– Arbeitgeber zur Vermittlung der Fachkenntnisse verpflichtet
– Lehrvertrag ist bis zum Ende der Lehrzeit befristet
– Arbeitgeber muss Lernenden für Berufsfachschule und Prüfungen freistellen
– Lehrvertrag muss schriftlich verfasst werden und ggf. von gesetzlichen Vertretern unterschrieben sein
Handelsreisendenvertrag (Art. 347-350a OR)AG + AN– Handelsreisendenvertrag muss nach OR schriftlich erstellt werden (kein Gültigkeitserfordernis)
– Arbeitnehmer ist verpflichtet, im Aussendienst zu arbeiten und hat Berichterstattungspflicht
– Arbeitgeber muss Lohn mit oder ohne Provision vergüten
– Wird dem Arbeitnehmer ein Kundenkreis zugewiesen, steht ihm die Provision auf alle vermittelten Geschäfte von Arbeitnehmer und Arbeitgeber in diesem Kundenkreis zu
Heimarbeitsvertrag (Art. 351-354 OR)AG + AN– Arbeitnehmer arbeitet, ggf. mit Familie, von zuhause aus oder in geeigneten Räumen
– Es gelten besondere Bestimmungen zum Datenschutz, zu den Zugriffsrechten des AG und der technischen Ausstattung im Home-Office
– Es gilt das Heimarbeitsgesetz (HArG) und die Heimarbeitsverordnung (HArGV)
Gesamtarbeitsverträge (GAV) (Art. 356-360 OR)Gewerkschaft + Unternehmer-verbände– wird zwischen Gewerkschaften und Unternehmerverbänden geschlossen
– muss schriftlich verfasst werden
– gilt in den Kantonen oder kantonsübergreifend
– überbetriebliche Regelungen wie Mindestlöhne, Kündigungsfristen, Ferien und Arbeitszeiten
– Regelungen über Kontrolle und Durchsetzung der Bestimmungen
– GAV kann durch Fristablauf, Kündigung oder Aufhebungsvertrag enden
Normalarbeitsvertrag (NAV) (Art. 359-360 OR)Kanton bzw. Bundesrat– Ersatz für GAV und EAV
– ist schriftlich abzufassen
– beinhaltet Schutzbestimmungen über Abschluss, Inhalt und Beendigung für bestimmte Arbeitsverhältnisse
– wird durch Kanton oder kantonsübergreifend durch Bundesrat erstellt
– muss vor Inkrafttreten veröffentlicht werden, ansonsten ungültig
– In Landwirtschaft und Hausdienst werden Ruhe- und Einsatzzeiten sowie Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmerinnen und junge Arbeitnehmer fixiert

Einzelarbeitsvertrag

Der Einzelarbeitsvertrag gehört zu den am häufigsten vorkommenden Vertragsarten (Art. 355 OR). Der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer abgeschlossene Vertrag beinhaltet den Einstellungstermin, eine mögliche Befristung des Arbeitsverhältnisses, die konkrete Tätigkeit des Arbeitnehmers und führt Einkommen, Prämien und Zulagen auf. Dazu können Kündigungsfristen genannt werden.

Lehrvertrag

Schliessen Arbeitnehmer und Arbeitgeber einen Lehrvertrag ab, steht die Ausbildung im Fokus. Der Arbeitgeber verpflichtet sich, die lernende Person auszubilden. Diese verpflichtet sich, eine bestimmte Berufstätigkeit zu erlernen (Art. 344 ff OR) und dafür bei dem Arbeitgeber zu arbeiten. Zusätzlich muss der Lernende an Unterrichtseinheiten in einer Berufsfachschule teilzunehmen. Der Lehrvertrag muss zwingend schriftlich verfasst werden.

Handelsreisendenvertrag

Der Handelsreisende verpflichtet sich mit dem Abschluss eines Handelsvertrages, im Aussendienst Absatzgeschäfte im Namen des Arbeitgebers zu vermitteln. Arbeitgeber kann ein Handels- oder Fabrikationsunternehmen sein bzw. ein Unternehmen aus jedem Gewerbe, das kaufmännisch geführt wird.

Der Handelsreisende vermittelt grundsätzlich nur Absatzgeschäfte. Einkäufe gehören nicht zum Aufgabengebiet. Ohne besondere Vollmacht darf der Arbeitnehmer keine Zahlungen von Kunden annehmen. Für seine Tätigkeit erhält der Mitarbeiter Lohn mit oder ohne Provisionsanteil.

Nicht als Handelsreisender gilt ein Arbeitnehmer, der nur gelegentlich im Aussendienst eingesetzt wird. Auch Reisende, die auf eigene Rechnung handeln, sind keine Handelsreisenden im Sinne des Obligationenrechts. Grundlagen sind Art. 347 ff ORArt. 319 OR und das Reisendengewerbegesetz.

Heimarbeitsvertrag

Im Rahmen eines Heimarbeitsvertrags verpflichtet sich der Arbeitnehmer, in seinen Wohnräumen oder anderen geeigneten Räumen für den Arbeitgeber tätig zu werden. Der Heimarbeitnehmer kann je nach Vertrag auch andere Familienmitglieder miteinbeziehen (Art. 351 ff OR).

Es bestehen besondere Pflichten hinsichtlich der Heimarbeit und dem Umgang mit Material und Arbeitsgeräten. Beispielsweise müssen Fragen zu Telefon- und Internetanschluss, Datenschutz und Zugriffsrechten des Arbeitgebers geklärt werden. Die massgeblichen Arbeitsschutzbestimmungen sind im Heimarbeitsgesetz (HArG) geregelt.

Gesamtarbeitsvertrag (Kollektivarbeitsvertrag)

Im Gegensatz zum Einzelarbeitsvertrag wird der Kollektivarbeitsvertrag nicht zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber geschlossen, sondern zwischen den Gewerkschaften und Unternehmerverbänden. Ein Kollektivvertrag gilt in den Kantonen oder kantonsübergreifend in der ganzen Schweiz.

Voraussetzung für dessen Gültigkeit ist, dass er schriftlich erstellt worden und auf dem aktuellen Stand ist. Er beinhaltet überbetriebliche Regelungen wie Mindestlöhne, Kündigungsfristen, Ferien und Arbeitszeiten. Dazu kommen Regelungen zu Kontrollen und Durchsetzung der Bestimmungen.

Ein Kollektivvertrag kann durch Kündigung (ausserordentlich, ordentlich), bei Befristung durch Fristablauf oder durch Aufhebungsvertrag beendet werden.

Normalarbeitsvertrag

In Normalarbeitsverträgen werden grundlegende Schutzregeln über Abschluss, Inhalt und Beendigung bestimmter Arbeitsverhältnisse aufgestellt. Das ist nur dann nötig, wenn es keinen Einzelarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag gibt.

In der Regel ist die Erstellung eines Normalarbeitsvertrags Aufgabe des Kantons. Erstreckt sich der Geltungsbereich über mehrere Kantone, ist der Bundesrat zuständig. Vor Inkrafttreten des Normalarbeitsvertrags ist der Entwurf zu veröffentlichen und mit Berufsverbänden oder betroffenen Vereinigungen abzustimmen. Versäumt der Kanton die vorherige Publikation, ist der NAV ungültig.

Nach Art. 360a OR darf von einem Normalarbeitsvertrag zwar durch Abrede abgewichen werden, jedoch nie zuungunsten des Arbeitnehmers. Für Arbeitnehmer in der Landwirtschaft und im Hausdienst sind Einsatz- und Ruhezeiten festzulegen. Zudem sind die Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmerinnen und jugendliche Arbeitnehmer zu regeln.

Aktuell gibt es u. a. Normalarbeitsverträge des Bundes für Assistenzärzte, Pflegepersonal, Erziehungspersonal, Heim- und Internatspersonal.

Benötigt man immer einen Arbeitsvertrag?

Nein, in der Schweiz sind mit Ausnahmen auch mündliche arbeitsvertragliche Vereinbarungen zulässig. Allerdings gibt es Vertragsarten, die zwingend schriftlich fixiert werden müssen, beispielsweise der Lehrvertrag, Kollektivarbeitsvertrag oder Normalarbeitsvertrag.

Einige Regelungen müssen grundsätzlich schriftlich festgehalten werden. Bedingung ist jedoch auch bei schriftlicher Vereinbarung, dass die Regelungen nicht zuungunsten der beiden Vertragsparteien ausgestaltet werden. Vom Obligationenrecht (OR) abweichend vereinbar sind z. B. Probezeiten, Kündigungsfristen oder Überstundenregelungen. Auch ein Konkurrenzverbot muss schriftlich vereinbart werden.

Was lässt sich in einem Arbeitsvertrag nach OR definieren?

Die Vertragsfreiheit in der Schweiz lässt Arbeitgebern und Arbeitnehmern weitreichende Spielräume zur vertraglichen Ausgestaltung. Definiert werden darf in einem Arbeitsvertrag nach Obligationenrecht z. B.:

  • Art der Tätigkeit oder beruflichen Bildung
  • Probezeit
  • Dauer und Beendigung des Arbeitsverhältnisses
  • Arbeitszeiten und Ferienanspruch
  • Lohn bzw. Gehalt, Zeitpunkt der Bezahlung
  • Auslagenersatz, Provisionen, Boni
  • Vollmachten
  • Leistungen über Lohn/Gehalt hinaus, z. B. Jobticket, Versicherungsprämien
  • Kündigungsfristen
  • Anspruch auf Lehr- bzw. Arbeitszeugnis
  • Gerichtsstand und anwendbares Recht

Was darf nicht im Arbeitsvertrag definiert werden?

Trotz bestehender Vertragsfreiheit sieht das Obligationenrecht einige Punkte vor, die nicht zuungunsten von Arbeitgeber und Arbeitnehmer angewandt werden dürfen (Art. 361 OR). Werden diese zwingenden Regelungen dennoch zum Nachteil einer der Parteien vereinbart, sind sie nichtig. Ungültige Vereinbarungen werden dann durch gesetzliche Bestimmungen bzw. durch die Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages ersetzt.

Das Obligationenrecht sieht jedoch auch Regelungen vor, die zwar nicht zum Nachteil von Arbeitnehmern vereinbart werden dürfen, jedoch zuungunsten des Arbeitgebers (Art. 362 OR). Werden dennoch Vereinbarungen getroffen, die die Rechte der Arbeitnehmer unzulässig einschränken, sind diese nichtig. Das gilt auch für mögliche Regelungen dieser Art in Gesamt- oder Normalarbeitsverträgen. In diesem Fall treten gesetzliche Regelungen anderen Stelle.

Dazu gehören beispielsweise:

  • Bestimmungen, nach denen in einem Gesamtarbeitsvertrag die Parteien zum Eintritt in einen der beteiligten Verbände gezwungen werden (Art. 356a OR).
  • Beschränkungen in der Ausübung bestimmter Berufe, Tätigkeiten oder Ausbildungen (A356a OR)
  • Inkrafttreten eines Normalarbeitsvertrages ohne vorherige Veröffentlichung (Art. 359a OR)
  • Regelung der Überstundenarbeit bzw. deren Vergütung zuungunsten der Arbeitnehmer (Art. 321c OR)
  • Regelungen, nach denen der Mutterschaftsurlaub gekürzt wird (Art. 329 f OR)
  • Kürzung der Kündigungsfrist zuungunsten des Arbeitnehmers (Art. 335 c OR)

Fazit: Das Obligationenrecht bietet Schutz und Individualität

Die vielseitigen Ausgestaltungsmöglichkeiten der Arbeitsverträge in der Schweiz bieten Arbeitgebern und Arbeitnehmern viele Freiheiten. Um Mitarbeitende dennoch vor benachteiligenden Vereinbarungen zu schützen, hat der Gesetzgeber im Obligationenrecht umfangreiche Schutzregeln aufgestellt. Je nach Vertragsart muss der Arbeitsvertrag schriftlich verfasst werden. Zwingende Vorschriften erlauben kein Unterschreiten. Wer in einer Branche arbeitet, die einen Gesamtarbeitsvertrag hat, ist durch diesen zusätzlich geschützt.